Reisebericht, mit dem Motorrad durch Libyen

Ich wache auf und frage mich wo ich denn hier bin. Ach ja, ich liege im Krankenhaus, leider ist es doch real. So sehr ich mir auch einreden will, dass es nur ein Traum war, der Unfall hat stattgefunden. Die schmerzhaften Verletzungen, eigentlich lächerlich, wenn man bedenkt was alles passieren hätte können, sind nebensächlich. Vielmehr verstehe ich nicht wie es überhaupt dazu hat kommen können. Auf der Autobahn, in der Nacht bei geringem Verkehr auf einen LKW aufzufahren, das ergibt doch keinen Sinn. Sekundenschlaf, das ist es was jetzt alle zu mir sagen, aber dass das ausgerechnet mir passiert, nachdem ich 100tsd unfallfreie Kilometer Erfahrung habe, soll ich einfach so eingeschlafen sein? Ich muss es wohl glauben, denn ich kann mich sowieso erst wieder daran erinnern unter der Mittelleitschiene gelegen zu sein und danach an die Fahrt im Rettungsauto.

Interessant, diese Krankenzimmer schauen überall gleich aus. Ich liege am Rücken und zähle die Löcher pro Element der abgehängten Decke. Links neben mir steht das Nachtkästchen, eines dieser typischen Krankenhausexemplare aus Metall, mit klemmender Schublade. Wann darf ich nach Hause gehen? Ich muss mein Motorrad reparieren, denn in drei Monaten geht die Fähre nach Afrika, lautet meine tägliche Frage bei der Arztvisite. Meist ernte ich nur Kopfschütteln.

Endlich, nach einer Woche war ich lästig genug, dass ich aus dem Krankenhaus entlassen (oder hinausgeworfen) wurde. Noch am selben Tag begann ich mein Motorrad zu reparieren. Der zertrümmerte Helm erklärte mein Schädelhirntrauma (zum Glück hatte ich beim Helmkauf nicht gespart) und der völlig verbeulte Tank die Prellungen an Stellen, wo wir Männer sehr schmerzempfindlich sind. Einen Tag später lieh ich mir von einem Freund ein Motorrad aus und zum Glück, es machte immer noch unglaublichen Spaß. In den darauffolgenden Wochen tauschte ich die Standrohre, die beiden Gabelbrücken, den Scheinwerfer, die Armaturenhalterung, sowie das Armaturengehäuse und einen Rückspiegel. Ein hoher vorderer Kotflügel ein 23 Liter Nachbautank und die weggelassene Verkleidung gaben der Dominator eine bullige Vorderansicht.

Die erste Ausfahrt war ein Traum. Offensichtlich hat das Motorrad sowohl den Auffahrunfall als auch die anschließenden Überschläge rahmenmäßig unbeschadet überstanden. Bei freihändiger Fahrt blieb es absolut spurtreu in der Geradeausfahrt. Ich hatte meine Afrikareise schon auf ewige Zeit verschoben gesehen, doch nun war alles klar. Etwa einen Monat nach dem Unfall, also unmittelbar nachdem die Reparatur abgeschlossen war hatte eine junge Frau mit ihrem Auto etwa an der selben Stelle einen nahezu identischen Unfall und starb. Gleichzeitig begann bei mir eine Art posttraumatische Depression und der einzige Ausweg bestand darin, nun endlich ernsthaft mit der Reisevorbereitung zu beginnen. Die Fähre Genua - Tunis zu buchen ist eine Sache, alle notwendigen Unterlagen für das Visum aufzutreiben und das mitzunehmende Material zu optimieren, eine Andere.
Es war absolut notwendig, dass ich damals begonnen habe, sonst wäre ich wohl jetzt nicht in der Lage endlich wieder eine Reise zu machen. Auch wenn ich bei minus 12 Grad eigentlich keine Lust habe Motorrad zu fahren, so nützt es nichts, denn wir müssen nun im Jänner mit zwei Tagen Fahrt bis Genua rechen. Wir, das sind Gerhard und ich mit den Motorrädern, wobei wir beide 650er Dominators fahren, sowie Birgit und Harry, die uns mit einem VW-Bus Baujahr 1973 begleiten. Wegen des hohen Kilometerstandes meines Motorrades bin ich doch ein wenig beunruhigt, denn für einen Eintopf sind 84.207km bei der Abfahrt doch nicht gerade wenig. Morgen am Abend wollen Gerhard und ich unsere Kollegen in Genua treffen. Überhaupt war der ganze Reisebeschluss wieder einmal eine von denen Entscheidungen, die man spontan trifft, unmittelbar nachdem man in die Orangenscheibe nach dem dritten Tequilla beißt. Via Handy können wir ausfindig machen, warum wir hier in Genua so lange auf die beiden warten müssen, denn eigentlich sollten sie schon seit Stunden da sein. Aha, zu spät weg gefahren und dann noch zwei Reifenpannen, das erklärt einiges. Gerhard und ich warten und trinken und trinken und warten.... So gesehen bin ich eigentlich total unschuldig, dass sich nach dem Sekt, den Birgit bei der schlussendlichen Ankunft hervorzaubert, mein Magen seines Inhaltes entledigt.
Am nächsten Tag geht es gegen Mittag zum Fährhafen, wo viele der selbst ernannten Rallye Fahrer ein Benehmen und eine Überheblichkeit an den Tag legen, als hätten sie zum Frühstück schon schnell die Dakar mitgemacht. Auf die Frage, wie sie denn hier her gekommen sind, heißt es "mit dem Anhänger" und in vier Wochen wird der Eine oder Andere von diesen Superhelden zu Fuß auf die Rückfähre gehen und nur mehr ein Häufchen Elend sein. Genau diese Sachen habe ich einfach schon zu oft erlebt.

Die Temperatur hat mit etwa 15 Grad ein angenehmes Niveau erreicht und so verbringen wir die 24stündige Überfahrt nach Tunis an Deck. Am Abend des nächsten Tages erreichen wir Afrika und nachdem Gerhard und ich immer schnell auf die eigentlich unklaren Handzeichen der Tunesischen Zöllner reagieren, sind wir nach etwa 10 Minuten aus dem Hafenareal heraußen. Etwa eine Stunde später kommen Birgit und Harry nach. Wir fahren noch knapp 100km und begeben uns dann zur Nachtruhe.

Am nächsten Morgen geht es gegen acht in der Früh weiter, denn wir wollen noch am Abend die Libysche Grenze überschreiten. Unterwegs bleiben wir immer wieder stehen um Kleinigkeiten zu essen oder einfach nur die angenehme, frühlingshaft milde Luft zu genießen. Ich bin total positiv von der freundlichen Art der Tunesier überrascht. Keine Spur von der aggressiven, aufdringlichen Art, wie ich es Jahre zuvor in einem anderen Nordafrikanischen Land kennen gelernt habe. Gegen 17 Uhr erreichen wir die Grenze und eine Stunde später kommen auch unsere Kollegen nach. Zuvor haben wir uns noch bei einem der zahllosen Schwarzhändler mit Libyschen Dinar eingedeckt. Zwar ist eigentlich die Ein- und Ausfuhr von Dinaren verboten, doch der offizielle Kurs ist um etwa das 10fache schlechter. Einen nicht zu unterschätzenden Teil muss man dann sowieso an der Grenze wechseln. Der Grenzübertritt dauert etwa zwei Stunden, wobei ich betonen möchte, dass wir niemals schlecht behandelt oder schikaniert werden. Bis sämtliche Formulare ausgefüllt sind, eine Libysche Haftpflichtversicherung abgeschlossen ist und auch die damit verbundene Nummerntafel befestigt ist vergeht einfach eine gewisse Zeit. Der Beamte bei der Wechselstube meint noch: "With this (money) you get the insurance, then you go and get your plate and then go and discover Libya. You're welcome". Wir fahren noch einige Kilometer, dann stopfen wir uns mit wunderbar saftigen Kebabs unsere Mägen voll und suchen uns nahe Zuara einen Schlafplatz.

Die Sonne scheint bereits und es ist angenehm warm, als wir am kommenden Morgen losfahren. Wir fahren direkt Richtung Süden mit dem heutigen Ziel bis zur alten Berberstadt Nallut zu kommen. Unterwegs bleiben wir immer wieder stehen um einfach nur das Hier und Jetzt zu genießen. Die letzten Wochen der Vorbereitungen waren stressig genug, jetzt haben wir eigentlich nur einen Wunsch: Die Ruhe und Weite genießen. Die Strasse ist sehr gut ausgebaut, ein absolut gerades, am Horizont zu einem Punkt zusammenlaufendes Asphaltband, das immer weiter in die Steppe bzw. Wüste führt.
Unterwegs an einer Tankstelle füllen wir neben unseren Tanks auch die Wasserkanister auf. Einen Buben, so um die 12 Jahre, lasse ich ein paar hundert Meter auf meinem Motorrad mitfahren. Er ist voll des Glücks, bedankt sich unzählige Male und schenkt mir eine Packung Schokokeks. Auch wenn Libyen als das reichste Land Afrikas gilt, sind dennoch Luxusartikel wie Motorräder sehr selten, sodass man als Motorradfahrer überall gern gesehen und freundlich gegrüßt wird.

Die Energie ist staatlich gefördert, sodass der Liter Benzin im Feber 2000 etwa 50 Groschen kostet. Auch sonst scheinen es die Menschen im Staat Libyen sehr gut zu haben. Grundnahrungsmittel sind gestützt, Brot oft gratis und die Infrastruktur, besonders was die Wasser- und Stromversorgung sowie das Straßennetz betrifft auf hohem Niveau. Der Erdölstaat gibt große Summen seiner Einnahmen an die Gemeinden und Kommunen weiter, die dann das Geld in Selbstverwaltung für die jeweils wichtig erscheinenden Projekte verwenden können. Diktatur hin oder her, Tatsache ist, dass ich während meines Urlaubes in Libyen wesentlich weniger Zwänge und persönliche Einschränkungen fühlte als in Mitteleuropa. Jedoch möchte ich durchaus relativierend anmerken, dass ein Monat bei weiten nicht lange genug ist, um die Situation umfassend und daher objektiv einschätzen zu können.

Libyen, dieser Wüstenstaat, der seinen Menschen ein sicheres und versorgtes Leben ermöglicht wird heute leider auch als Schurkenstaat bezeichnet. Ob der Schurke nicht ein paar tausend Kilometer weiter westlich sitzt? Am Nachmittag erreichen wir Nallut, eine alte, auf einem Berg gelegene Stadt. Vor der Auffahrt ist eine der häufigen Militärkontrollen positioniert. Kurz wird ein Blick in die Pässe geworfen. Das Wort "Nemsa" bedeutet Österreich und ist durchaus geeignet das Ganze zu beschleunigen und die Kontrolle in einen freundlichen Gruß und ein "You're welcome" zu verwandeln. Am Markt der Stadt decken wir uns mit frischem Obst und Gemüse sowie Eiern ein. Gerhard und ich kommen etwas früher vom Markt zurück als Harry und Birgit. Während des Wartens auf unsere Kollegen werden wir von ein paar schüchternen Kindern, die offensichtlich gerade von der Schule nach Hause kommen, beobachtet. Plötzlich kommt aus dem Haus, vor dem wir parken ein Mann heraus und lädt uns spontan zu Tee und Keks ein.
Daraufhin trauen sich auch die Kinder näher heran zu kommen und so finden wir uns bald in einer lustigen Menschenmenge wieder. Um was es bei unseren Unterhaltungen mit Händen und Füssen eigentlich genau geht weiß ich nicht, es ist auch vollkommen unwichtig. Es wird viel gelacht und die Sprache der Gastfreundschaft ist ohnehin international. Am frühen Abend brechen wir auf und suchen uns außerhalb der Stadt, in der Steppe einen Nachtplatz. Ein aufgehängter Wassersack wird zur schon längst fälligen Dusche und sobald die Sonne gegen 18 Uhr unter geht, wird es schlagartig kalt.

Über Nacht hat es gefroren, denn auf meinem Motorradsattel ist Reif und das Abwaschwasser vom Vorabend ist zu einem Eisblock geworden. Mit der Sonne wird es aber schnell wieder warm. Auch heute wollen wir noch einmal etwa 350km fahren, sodass wir dann den Enduros endlich eine Offroadetappe gönnen können. Diese Strecke nach Darj und weiter Richtung Gadames ist einfach nur als langweilig zu bezeichnen. Prinzipiell habe ich nichts gegen lange Etappen doch wenn die Landschaft nach einigen hundert Kilometern Fahrt noch immer gleich ausschaut, dann ist es recht schwierig sich dafür zu motivieren.

Am Abend biegen wir etwa 30 km vor Gadames von der Straße ab und fahren rund 20 km nach GPS zu einem See, den es hier scheinbar geben soll. Problemlos finden wir ihn auf einer kleinen Geländekuppe.Während wir beim Abendessen sitzen kommt noch eine einheimische Familie auf ein Picknick vorbei. Der älteste, vermutlich der Großvater kommt zu uns herüber. Ein alter, humorvoller, viel lachender Mann, der perfekt Italienisch spricht, was uns jedoch nicht weiter hilft, denn unser Italienisch ist auf kleine Fraßen beschränkt. Nur soviel verstehen wir, dass es sich bei dem See um einen artesischen Brunnen handelt, aber momentan keine Überschwemmungsgefahr herrscht.

Am kommenden Tag fahren wir zunächst nach Gadames, einer alten Stadt, die früher ein wichtiger Kreuzungspunkt der Karawanen war. Die Altstadt wurde vor Jahren von der Unesco zum Weltkulturerbe erhoben. Die Menschen wohnen schon längst in modernen Häusern in der sogenannten Neustadt, doch selbst jetzt noch spürt man förmlich das Leben, das in den engen Gassen pulsiert haben muss. Am Nachmittag verlassen wir die Stadt und fahren etwa 120km nach Osten. Dort beginnen Gerhard und ich die Reifen auf unseren Motorrädern zu wechseln. Es hätte recht wenig Sinn gemacht schon zu Hause die Stollenreifen aufzuziehen, denn bis hier hätten sie wahrscheinlich schon wieder 50% ihres Profils eingebüßt. Also werden die Motorräder auf Kanistern und Sandblechen aufgebockt, die Felgen ausgebaut und mit sanfter Gewalt die Reifen gewechselt.

Morgen geht es dann für uns so richtig los. Endlich weg vom Asphalt, wobei sich natürlich auch leichte Unsicherheit mitmischt. Wir wollen die Hamadat al Hamrah, eine Geröllwüste mit etwa 450km Länge durchqueren. Einige GPS Koordinaten für diese Strecke haben wir aufgetrieben, jedoch kann lt. Reiseführer nicht mit fremder Hilfe gerechnet werden.

Am Morgen ist der Himmel bedeckt und der Wind wirbelt den Sand und Staub herum. Gerhard und ich probieren noch vor dem Frühstück unsere neuen Reifen (Pirelli Rallye Cross) aus. Ist echt recht lustig: Der vordere Reifen gibt volle Seitenhaftung, während der hintere zwar gut für Beschleunigung sorgt, seitlich aber sofort ausbricht. Selbst extreme Drifts fallen somit kinderleicht. Kurz nach dem Frühstück trennen wir Motorradfahrer uns von unseren Freunden Birgit und Harald. Diese Geröllwüstendurchquerung ist vermutlich für den alten Bus zu hart und so beschließen wir uns nahe Idri, also in rund 500km, übermorgen, oder wann auch immer wieder zu treffen. Ohne uns eigentlich des Risikos bewusst zu sein, nimmt sich Gerhard einen 20 Liter und ich einen 10 Liter fassenden Benzinkanister mit. Wir haben somit 36 bzw. 33 Liter für eine Strecke von etwa 500km dabei.

Ab jetzt sind wir auf uns alleine gestellt. Auf den ersten rund 50 Kilometern ist die Piste teilweise noch markiert und wir erreichen problemlos unseren ersten GPS- Punkt. Danach verfahren wir uns jedoch sofort und bis wir das bemerken, haben wir bereits 20km Umweg gemacht. Die Verhältnisse der Piste variieren stark. Teilweise kann ich den Gashahn ordentlich aufdrehen und düse mit gut 100km/h durch die Weite, hin und wieder unterbrochen von einem Sprung, denn Geländekuppen sind um die Mittagszeit unter der Saharasonne und wegen der fehlenden Konturen kaum zu erkennen. Teilweise jedoch müssen wir durch Gebiete, übersäht mit Kopfgrossen Steinen. Immer wieder kracht es, wenn ein Stein gegen das Motorschutzblech geschleudert wird. Langsam beginnt sich der Pfeil im Display des GPS Gerätes nach rechts zu drehen und wir folgen ihm, obwohl wir dabei immer wieder alte Spuren kreuzen, die in unsere ursprüngliche Richtung verlaufen.

Plötzlich fehlt der Horizont und ich lege eine Vollbremsung hin. Vor mir bricht eine Felsstufe etwa 200 Höhenmeter senkrecht ab. Aha, das Gerät weiß halt nicht, was zwischen den Punkten ist. Wie hat jemand so richtig über das GPS gesagt: Es zeigt dir ganz genau an, wo du bist, wenn du stirbst. Damit haben wir wieder wertvollen Treibstoff sinnlos verheizt. In Ordnung, wir sind heute bereits 225km gefahren, lassen wir´s gut sein, morgen ist auch noch ein Tag. Wir suchen uns in einer leichten Geländesenke einen Nachtplatz, stellen die Motorräder ab und das Zelt auf. Während Gerhard sein Tagebuch schreibt und das Abendessen am Gaskocher brodelt, kontrolliere ich unsere Route auf der Landkarte. Unsere Position ist N29°01´16", E12°09´07". Stimmt, einige Kilometer südlich ist ein Canyon eingezeichnet. In Ordnung, noch etwa 50 Kilometer in diese Richtung weiter, da sollten wir dann runter kommen. Wir sind an einem Ort, von wo aus, egal in welche Richtung man geht, man frühestens nach 200km zu einem Haus gelangt. Trotzdem kommt in mich kein bisschen das Gefühl der Einsamkeit, sondern nur jenes schöne der Freiheit auf.

In der Früh ist das Wetter mittelprächtig, mit tief hängenden Wolken- fast schon nordländisch. Fahren um halb zehn weg und erreichen planmäßig nach etwa 55km eine Pistenkreuzung. Etwa um 12.00 erreichen wir die Geländestufe. Danach wird die Piste zur Trailstrecke. Nur selten lässt sich schneller als 50km/h fahren. Im ersten tiefsandigen Oued (ausgetrockneter Flusslauf) stürze ich. Super, wenn ich nicht einmal das schaffe, wie soll das in den Dünen gehen? Was ist los mit mir? In Island bin ich auf wesentlich schlechteren Strecken besser gefahren. Dort war die Maschine wie ein Teil von mir, jetzt scheint es als wäre sie mein Gegner. Ist meine Sturzangst eine Folge meines Unfalls? Hey Klaus stay cool du bist auf Urlaub. Endlich kommen wir aus dem engen Canyon heraus und auf freie Sandflächen. Der Sturz muss meine Blockade im Gehirn aufgehoben haben. Ich ziehe meine Spuren in den unberührten Sand und bin einfach nur zufrieden. Plötzlich beginnt der Motor zu stottern. Tank leer, so, jetzt habe ich noch 4 Liter Reserve, denn meinen Reservekanister habe ich bereits heute in der Früh in den Tank gefüllt. Laut Satellitennavigation sind es noch etwa 60km Luftlinie bis zur Tankstelle in Idri. Jetzt kommt es darauf an, wie die Strecke bis dort hin ausschaut. Obwohl wir wegen des grobsteinigen Untergrundes nur mit etwa 30km/h voran kommen, scheint mein Motor die angespannte Situation zu verstehen und begnügt sich mit weniger Sprit. In Idri angekommen, stellt sich die Frage "wo ist die Tankstelle". Ein Einheimischer meint nur, es sei zu kompliziert dies zu erklären, er fährt voraus, wir sollen ihm folgen. Bei der Tankstelle ist er plötzlich verschwunden, sodass wir gar keine Gelegenheit bekommen uns zu bedanken. Danach geht es einige Kilometer auf Asphalt Richtung Osten und danach zweigen wir nach Süden in die Sandfelder ab. Kurze Zeit später treffen wir am ausgemachten GPS Punkt Harry und Birgit. Gerhard und ich sind euphorisch unsere erste Etappe mit eigenverantwortlicher Navigation gemeistert zu haben, gleichzeitig sind wir aber auch erschöpft.

Am Morgen beschließen wir daher uns einen Tag der Erholung und des Dünenfahrtrainings zu gönnen, denn als nächsten Abschnitt haben wir die Durchquerung des Erg Ubari (Erg heißt Dünengebiet) geplant, während unsere Kollegen zunächst auf normalen Straßen bleiben. In der Stadt Terkiba, südlich des Erg Ubari soll es einen Campingplatz geben, wo wir uns irgendwann in den nächsten Tagen wieder treffen wollen. Gerhard und ich haben vor der geplanten Strecke gehörigen Respekt, denn nun geht es in die richtigen Dünen. Alles was wir bis hier her hatten, war maximal 10 Meter hoch. Darüber hinaus steht in unserem Reiseführer folgendes: "Die Strecke durch den Erg Ubari stellt eine sehr anspruchsvolle Ergdurchquerung dar. Bei schlechten Sichtverhältnissen und womöglich überladenen Fahrzeugen sollte sie nicht in Angriff genommen werden. Viele Passagen sollten sie zunächst zu Fuß abgehen. Ich bin mir sicher, dass sie sich oft fragen werden, wie diese oder die nächste Düne zu schaffen ist und wie es überhaupt weitergehen soll.

Vielleicht tröstet sie der Gedanke, dass ich verschiedene, relativ erfahrene Sahara-Fahrer kenne, die an dieser Strecke verzweifelt sind und entmutigt aufgegeben haben. Kraftvoller Geländewagen unabdingbar, volle Sahara Ausrüstung erforderlich und keine fremde Hilfe zu erwarten. Keine Landkarte zeigt den Verlauf." Ob das wohl die richtige Route für uns Neulinge ist? Na gut, wir fahren in den Erg. Nach etwa 20 km schlagen wir unser Lager auf, denn wir wollen uns einen Tag der Erholung gönnen und Dünenfahren üben. Um Gewicht zu sparen haben nur das Notwendigste (Zelt, Unterlagmatte, Schlafsack, Essen, Kocher, Landkarten, GPS, Notration, Verbandszeug und Wasser) dabei und schlagen das Zelt an einem Platz auf für den der Begriff Bilderbuchwüste wohl noch eine Untertreibung darstellt auf.

Am Nachmittag trainieren wir auf etwa 70 bis 100 Meter hohen Dünen noch das Sandfahren, was wesentlich besser geht als befürchtet, müssen es aber nach etwa einer Stunde wegen aufkommenden Schlechtwetters abbrechen. Da das Fahren im Sand recht gut geht, freue ich mich jetzt richtig auf morgen und meine Selbstzweifel sind völlig verschwunden. Rezept: leben statt denken!! Danach verbringen den restlichen Tag ab halb drei vor bzw. im Zelt mit philosophischen Gesprächen mit essen und rasten. "Weißt noch Gerhard, wie lange ist das her?, vor zwei Wochen war´n wir bei minus 10 Grad Eisklettern und jetzt das hier". "Ja hast recht, das Leben ist gut zu mir...". Das einzige was fehlt ist eine Dusche, denn wir haben uns seit 5 Tagen nicht mehr gewaschen, wodurch die Luft im Zelt schon fast als Giftgas zu bezeichnen ist.

Wir stehen gegen halb acht auf und kommen etwa eine Stunde später weg. Das Fahren geht absolut leicht. Von wegen schwierig, ein einziger, traumhafter Spaß. Einfach immer Vollgas und fertig. Kaum hat man entsprechende Geschwindigkeit, schwimmt das Motorrad auf dem Sand. Kommt man zu einer Düne, schalte ich einfach einen Gang hinunter und gebe Gas. Damit kann man sogar noch beschleunigen. Wie bei einer Tiefschneeabfahrt kann man, rein durch Gewichtsverlagerung, Wedelspuren in den Sand ziehen. Ich singe und juchize in meinen Helm und kann mein Glück kaum fassen. Nur die Abfahrten von den Dünen sind noch mit ziemlichen Adrenalinstössen verbunden, denn abgesehen davon, dass die Dünen ziemlich hoch und auch steil sind, muss man auch noch Vollgas geben, damit das Vorderrad nicht im Sand einsinkt und es einen nicht überschlägt.

Leider ist nach etwa 3 Stunden der Spaß vorbei, denn das Dünengebiet liegt hinter uns und Ubari ist erreicht. Bei der 40 km langen Fahrt Richtung Osten zum Campingplatz hat man schon fast das Gefühl in Schwarzafrika zu sein. Es ist einfach traumhaft hier. Harry und Birgit sind gegen 10.00 Uhr entlang der "leichten" Strecke zu den Mandaraseen aufgebrochen. Bis jetzt (17.00 Uhr) sind sie noch nicht zurück. Wenn sie es schaffen, so haben sie in einem Brief geschrieben, wollen sie drinnen schlafen. Hier am Campingplatz bekomme ich endlich wieder einmal eine Dusche und am Abend wird für uns aufgekocht, worauf ich mich gewaltig freue, denn ich habe seit fast 24 Stunden nichts mehr gegessen. Birgit und Harry tauchen am Abend nicht mehr auf.

hier gehts weiter zum zweiten Teil des Libyen Berichtes...
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Bericht vom 15.01.2003 | 8.485 Aufrufe

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