Mehr als Cappuccino und Cornetto - Motorradtour auf Sardinien
Endlose Kurven auf Italiens westlichem Außenposten
Wenn im Herbst die Touristenströme versiegt sind, dann präsentiert sich Sardinien von seiner wilden, ursprünglichen Seite. Eine perfekte Zeit für einen Motorradtrip auf die große Mittelmeerinsel, die nur dank Cappuccino und Pasta zu Italien gehört.

Text + Fotos: Norbert Meiszies/RKM
Motorradfahren macht hungrig, vor allem, wenn es zum Frühstück ausschließlich das typische Italo-Duo gibt: Cappuccino und Cornetto. Das zumeist trockene Hörnchen hält jedoch nicht lange vor, und der Milchkaffee dient auch nur dazu, zumindest halbwegs wach aufs Bike zu steigen. Aber der italienische Genussmensch weiß, dass mittags mindestens ein Dreigang-Menü auf ihn wartet, dass man an der Strandpromenade oder im Ristorante auf der Piazza zu sich nimmt. Darin unterscheiden sich die Sarden von ihren Landsleuten nicht, auch wenn sie mit dem italienischen Festland normalerweise so wenig wie möglich zu tun haben wollen. Der Sarde ist kein Italiener. Das war in der Vergangenheit schon so, als sich Griechen, Araber, Römer und auch die Habsburger hier die Klinke in die Hand gaben und versuchten, die dickköpfigen Sarden in den Griff zu bekommen. Italienische Essgewohnheiten scheinen der einzige kulturelle Beitrag zu sein, den die Sarden gerne akzeptiert haben.
Kurven als Hauptgang und historische Happen zum Nachtisch
Wie kommt man aber an ein gutes Essen, wenn an der Costa del Sud nur wenige Ortschaften liegen und zu unserer Reisezeit Ende Oktober die Urlauber längst wieder heimgekehrt sind. Dann steht nämlich an fast allen Pizzerien und Trattorien chiuso, geschlossen. Na ja, dann gibt es halt statt Pasta jede Menge Kurven. Die Küstenstraße zwischen Bithia und Porto Teulada ist wirklich ein Leckerbissen. Das längste gerade Stück misst höchstens 50 Meter. Die Landschaft ringsum mit ihren kleinen Buchten, Steilküsten und Sandstränden gibts zum Nachtisch. So nutzen wir die Zeit für Aussichtspunkte, Fotostopps und einen Abstecher zum Torre di Chia. Die romantisch anmutenden Wehrtürme sind so etwas wie sardische Wahrzeichen. Alle paar Kilometer tauchen sie entlang der Küste auf, meistens gut erhalten, obwohl sie schon einige Jahrhunderte auf dem Buckel haben. Die Genueser errichteten sie als Signaltürme zum Schutz gegen nordafrikanische Sarazenen. Gleich neben dem Torre di Chia liegen direkt am Meer die Reste der phönizischen Stadt Bithia.
Reisezeit Sardinien
Ideale Reisezeit für Sardinien ist das Frühjahr, wenn ab März bereits Temperaturen ab 20 Grad normal sind. Noch besser ist der Herbst zwischen September und Oktober. Dann ist es angenehm warm mit Temperaturen um 25 Grad und relativ regensicher. Außerdem ist das Meer noch gut aufgewärmt. Die Sommersaison ist nicht nur Haupturlaubszeit der Italiener, sondern auch sehr heiß und nicht unbedingt geeignet für ausgiebige Motorrad-Touren.
Anreise nach Sardinien
Sardinien gilt nicht gerade als einfaches Reiseziel. Die Insel kann man mit dem eigenen Motorrad nur mittels Fähre erreichen. Da gibt es zahlreiche Möglichkeiten, beispielsweise ab Genua. Allerdings nimmt die Überfahrt dann auch gleich einen ganzen Tag in Anspruch. Kürzere Überfahrten versprechen die Häfen von La Spezia, Livorno und Neapel, da verliert man dann aber wieder Zeit bei der Anreise zu den Häfen. Verschiedene Fährgesellschaften steuern die Insel an: Moby, Grandi, Tirrenia und Sardinia Ferries (alle unter www.sardinien.com). Die einfache Überfahrt gibt es bereits ab 25 Euro.
Von der Karibik ins Gebirge - Das vielseitige Sardinien
Hinter einer Bergkuppe auf der Panoramastraße öffnet sich kurz vor Porto Teureddu der Blick auf die gleichnamige Bucht. Fast möchte man den Augen nicht trauen: das Panorama ist gigantisch. Schwer zu glauben, dass es sich bei der kleinen Bucht tatsächlich um einen frei zugänglichen Strand handelt. Das Goldgelb des Sandes, das Blau des Wassers, der Blick auf die vorgelagerte Felsinsel lassen ein Gefühl von Karibik aufkommen. Und es gibt ein einfaches Cafe direkt am Wasser mit einem schönen Restaurant nebenan inklusive Chiuso-Schild. Also doch wieder nur Cappuccino und Cornetto.
Wenn die Costa del Sud so etwas wie die Karibik Sardiniens darstellt, dann sind die Monti del Gennargentu das Riesengebirge. Bis auf über 1.800 Meter reichen die Gipfel, es gibt sogar einen Skilift. Das Gennargentu ist ein Paradies für Motorradfahrer. Hier kann man sich tagelang auf kurvenreichen Strecken kreuz und quer durch das Gebirge austoben. Es ist eine raue und einsame Gegend. Nur wenige Ortschaften klammern sich an die steilen Gebirgswände. Die Bergketten sind mal schroff, mal sanft abgerundet, dann wieder stürzen sie sich über hunderte von Meter in tiefe Täler, durch die sich reißende Bäche und Flüsse ihren Weg suchen. Karger Macchiabewuchs bedeckt die Bergrücken, die hinter Pinien- und Steineichenwäldern hervorragen. So abwechslungsreich wie die Landschaft sind die Straßen angelegt. Sie schrauben sich kehrenreich die steilen Felswände empor, um dann auch gleich wieder ins nächste Tal abzustürzen. Man kommt sich vor wie auf einer Achterbahn mit Flatrate. Es folgt Kurve auf Kurve, ständig weiter und weiter, scheinbar ohne Limit.
Übernachtungen und Unterkünfte in Sardinien
Auf Sardinien konzentriert sich der Tourismus auf die Hauptsaison zwischen Juli und Anfang September. Davor und danach haben vor allem im Inselinneren viele Restaurants, Gasthäuser und Hotels geschlossen. Dann ist man auf die großen Städte und Touristenzentren angewiesen. Dort sind die Preise aber auch gleich deutlich höher. Im Landesinneren und im Gennargentu gibt es zahlreiche sogenannte Borgos, Landhäuser mit nur wenigen Zimmern, aber landestypischer Küche. Empfehlenswert ist das Borgo di Carbonei in Esterzili mitten in den Bergen gelegen mit fantastischer Aussicht und geräumigen Zimmern. Familiär geht es im Hotel Domu Incantada in Muravera zu. Hier kocht die Chefin selbst typisch sardisch. Das Hotel besitzt eine schöne Terrasse und liegt etwas abseits vom hektischen Stadtzentrum.
Auf zwei Rädern durch Sardiniens widerspenstiges Herz
Im Gennargentu trifft man auf das ursprüngliche Sardinien, wo fast ausschließlich das dem Lateinischen verwandte Sardisch gesprochen wird. Die Menschen zeigen mit Stolz ihre Herkunft, sardische Trachten werden nicht nur zu Feiertagen angezogen. Im Gennargentu liegt auch die Keimzelle des sardischen Widerstands gegen die italienische Obrigkeit. Das Banditendorf Orgosolo hat zwar inzwischen einiges vom seinem Mythos verloren, als hier Entführungen an der Tagesordnung waren und Familienfehden meistens blutig endeten sogar mit Bussen werden die Touristen heute herangekarrt. Aber die Aufsässigkeit ist geblieben. Berühmt sind die politischen Wandmalereien, die Murales, die als stiller Protest gegen den Staat das einfache Leben der Bauern und Hirten darstellen. Murales gibt es in vielen Dörfern, auch in Esterzili. Der Ort wirkt wie an Postkartenmotiv mit Häusern, die sich wie ein Adlerhorst dicht an die Feldwand drängen. Über schier endlose Kurven schraubt man sich aus dem Tal den Berg hinauf. Durch die schmalen Gassen passt kaum ein Auto, da sind wir mit unserer BMW klar im Vorteil. Die winzige Piazza wird eingerahmt von der Kirche, einem Tante-Emma-Laden und der obligatorischen Bar (mit Cappuccino und Cornetto), deren Innenausstattung aus allerlei Ferrari-Memorabilien besteht. Eine der Hauswände ziert ein riesiges Gemälde einer Bahnhofsszene mit Dampflok.
Auch in Aritzo lernen wir die Vorteile eines Motorrades kennen. Es ist die Zeit der Kastanienernte, da wird hier ein riesiges Volksfest gefeiert. Schon auf den Zufahrtstraßen herrscht dichter Verkehr. Weit vor dem Ort sind die Straßenränder zugeparkt. Wir schlängeln uns weiter durch, eigentlich führt uns unsere Tour mitten durch den Ort. Am Ortseingang aber scheint endgültig Schluss, die Carabinieri haben alles abgesperrt. Doch überraschend winkt uns der Polizist durch, wir sollen weiter fahren. So finden wir uns plötzlich mitten zwischen Verkaufsständen aller Art und Massen von Fußgängern wieder. Niemand scheint das zu stören. Wir schleichen im Schritttempo durchs Zentrum. Überall riecht es nach gerösteten Maronen, Trachtenkapellen spielen Volksmusik und verkleidete Sarden in Schafsfellen und mit geschwärzten Gesichtern ziehen riesige Glocken läutend an uns vorbei. Wir kommen uns vor wie mitten in der alemannischen Fassnacht.
Motorrad leihen und fahren auf Sardinien
Sardinien ist ein Paradies für Motorradfahrer mit endlosen Kilometern an Kurven. Vor allem in Landesinneren und im Südwesten herrscht zudem sehr wenig Verkehr. Wem der Aufwand zu groß ist, mit dem eigenen Motorrad anzureisen, der kann sich seinen Urlaub auch organisieren lassen. Billig-Flieger steuern sowohl Olbia im Norden wie auch Cagliari im Süden der Insel an. Miet-Motorräder und komplette Touren bietet zum Beispiel Sarda Moto Tours (www.sarda-moto-tours.de) an. Auch Motorrad-Urlaub Sardinien (www.motorrad-urlaub-sardinien.com) ist ein deutschsprachiger Anbieter, der sich vor Ort bestens auskennt, da dort ansässig. Ein komplettes Sardinien-Paket inklusive Flug, Miet-Motorrad, Übernachtung, Verpflegung und Tourguide gibt es beim rm-reiseteam (www.rm-reiseteam.de).
Sardiniens Geheimtipp - Die Costa Verde
Im Gegensatz zur snobistischen Coste Smeralda ist die Costa Verde im Südwesten der Insel touristisch noch wenig entschlossen. Das liegt wohl auch daran, dass die Zufahrtsstraße nicht besonders gut ausgebaut, sehr eng und extrem kurvenreich ist also ideal für einen Motorradausflug. Außerdem gibt es auf den meisten Straßenkarten keine Verbindung zwischen dem nördlichen und dem südlichen Teil der grünen Küste. Ein einheimischer Biker erzählt uns aber von einer Möglichkeit, und so starten wir auch gleich los ins Abenteuer. Der asphaltierte Teil der Strecke ist ein Fest für die Augen, landeinwärts türmen sich bis zu 50 Meter hohe Sanddünen auf, auf der anderen Seite der Straße erstrahlt das glasklare Wasser in allerlei Türkistönen. Leider haben wir die Badesachen im Hotel gelassen, obwohl selbst im Herbst noch die Wassertemperatur über 20 Grad beträgt. Kurz vor dem Flüsschen Piscinas geht der Asphalt in eine holprige Sandpiste über. Das ist die Verbindung, nicht beschildert und häufig abzweigend. Aber irgendwie finden wir den rechten Weg, durchqueren ein paar Mal den Fluss und stehen plötzlich vor einem kilometerlangen, strahlend weißen Sandstrand mit einem kleinen Kiosk. Der hat tatsächlich geöffnet. Ob es hier auch etwas zu Essen gäbe, fragen wir den Verkäufer. Aber ja doch, ein Cornetto und einen Cappucino könne er uns auch machen.
Bücher und Karten zu Sardinien
Ein handliches Taschenbuch ist Sardinien von Marco Polo. Kurz und knapp gibt es die wichtigsten Hinweise auf die Sehenswürdigkeiten der Insel. Empfehlenswert ist auch der ADAC Reiseführer Sardinien. Die schönsten Badebuchten führt das Reisehandbuch Sardinien von Eberhard Froher auf. Für 24,90 Euro gibt es einen Einblick vor allem auf weniger bekannte Landstriche Sardiniens. Von Kümmerly+Frey stammt die passende Straßenkarte.
Bericht vom 18.06.2021 | 38.360 Aufrufe