Teil zwei des Norwegen Reiseberichtes
Am Abend
erreichen wir nach etwa 200km Regenfahrt einen Campingplatz nahe Narvik,
der von einem Schweizer, der vor einigen Jahren nach Norwegen ausgewandert
ist, betrieben wird und mieten uns eine Hütte. Die anschließende Sauna
bringt das Leben wieder zurück in meinen ausgekühlten Körper.
Narvik steht für eine der härtest
umkämpften Städte des zweiten Weltkrieges. Die riesigen
Soldatenfriedhöfe neben dem Kriegsmuseum bewirken bei mir nur
verständnisloses Kopfschütteln. Was wollte man hier? Damals gab es doch
in Norwegen nichts zu holen. Mittlerweile verfügt Narvik über die
größten Erzverladungskais Europas wo das Erz aus Kiruna (Schweden)
verladen wird. Dem Golfstrom hat man es zu verdanken, dass das Meer nie zu
friert. Nirgendwo sonst auf der Erde gibt es so weit im Norden
ganzjährlich eisfreie Häfen wie an Norwegens Küste. Mittlerweile ist
die E6 zu einer kleinen Straße mit nicht erwähnenswertem Verkehr
geworden. Der Himmel ist aufgelockert bewölkt, die Luft recht angenehm
mild und so tuckert mein Eintopf gemütlich durch die grandiose
Landschaft, die man am besten mit der alpinen Vegetation auf 2200 bis 2800
Meter vergleichen kann. Bäume habe ich schon seit Tagen bewusst keine
mehr gesehen, maximal auf sonnigen, windabgewandten Stellen ein paar
Büsche. Immer häufiger treffen wir auf Verkaufstände der Samen. Früher
wurden sie, die Ureinwohner Lapplands auch als Lappen bezeichnet,
mittlerweile hat sich mehr und mehr durchgesprochen, dass die richtige
Bezeichnung "Samen" lautet. Sie leben verstreut auch in
Finnland, Schweden und Russland, wobei der überwiegende Teil mit rund
20.000 Menschen in Norwegen lebt. Inzwischen bemüht man sich in Oslo den
Samen eine höhere Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen. In Alta gibt es
ein Samenparlament und im staatlichen Fernsehen (NRK) gibt es Samische
Sendungen, doch in der Norwegischen Bevölkerung ist immer noch eine
gewisse Ablehnung zu spüren, ähnlich wie in Österreich gegenüber den
Roma und Sinti. |
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Früher lebten die
Samen meist als Halbnomaden von der Rentierzucht und folgten im Sommer
ihren Herden. Heute sind viele von ihnen verschuldet, denn sie sind nicht
konkurrenzfähig. Manche ziehen im Sommer bis in die Hardangervidda dem
größten Hochland Europas in Südnorwegen um dort den Touristen jede
Menge Ramsch zu verkaufen, andere leben in den fylker (Bundesländern)
Tröndelag und Nordland als Bauern und viele jener die hier in Troms oder
im nördlichsten fylk Finnmarken geblieben sind leben als Angestellte bei
Großgrundbesitzern oder von der Sozialhilfe. Nordland, Troms und
Finnmarken sind die Sorgenkinder der Osloer Regierung. Die Winter sind zu
dunkel und zu lang, die Arbeitsplätze rar, sodass mit Ausnahme in den
Städten wie Kirkenes, Hammerfest, Alta, Tromsö, Narvik und Bodö um die
wichtigsten zu nennen, ein modernes Leben kaum möglich ist. Viele
Menschen aus dem Norden wandern in den Süden ab. |
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Die Nummerntafeln
an den Autos sind von AA im Süden bis ZZ im Norden sortiert. In
Trondheim, also am nördlichen Ende des südlichen Drittels ist bereites
VE erreicht, was sehr gut über die Besiedlungsdichte des Nordens Auskunft
gibt. In vielen Gesprächen mit Nordnorwegern im Zuge meines halbjährigen
Lebens in Trondheim habe ich geäußert, dass der Norden so schön sei.
"Schön schon, aber willst du auch dort leben?" In den Städten
des Nordens kein Problem, doch am Land kann ich es mir wirklich nicht
über Jahrzehnte vorstellen.
Jedenfalls erreichen wir an diesem Abend
Tromsö. Tromsö ist eine besondere Stadt. Mit 55.000 Einwohnern ist es
die größte Stadt nördlich des Polarkreises und hat gemessen an der
Einwohnerzahl die höchste Dichte an Pubs, Bars, Discos und Nightclubs.
Der Grund dafür ist recht einfach. In Tromsö gibt es eine Universität
und diese ist natürlich die nördlichste auf der Welt. |
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Manche werden
jetzt rufen, dass die nördlichste Universität in Longyearbyen auf
Spitzbergen sei, was auch zu Norwegen gehört, doch ist diese Universität
nur eine Außenstelle der Uni Tromsö. Tromsö ist auf alle Fälle einen
Besuch wert. Abgesehen von der Mitternachtssonne die hier zwei Monate
lange scheint, sind vor allem das Nordlichtplanetarium, die
Eismeerkathedrale und der Aussichtsberg Storsteinen ein Muss.
Zufälligerweise treffen wir in einer Bar wieder den jungen KTM Biker, der
uns vor Tagen die Bushaltestelle als Schlafplatz "weggenommen"
hat. Bei einem Bier wird über die verschiedensten
"lebenswichtigen" Sachen wie Nichteinhaltung der
Serviceintervalle, Reifenkilometerleistungen und Bierpreise diskutiert.
Später beschließen wir noch etwa 100km zurück bis zur E6 zu fahren und
uns dort einen Schlafplatz zu suchen Unser tägliches
Frühmittagabendessen, ein Laib Brot und eine ordentliche Portion Lachs,
haben wir mittlerweile gegen eine Dose Schrimps gewechselt und so
verlassen wir gegen 1 Uhr morgens im strahlenden Sonnenschein die Stadt.
Als wir am nächsten Tag in Alta in einem Kaffeehaus sitzen ist unser Benehmen nur mehr als unmöglich und peinlich zu bezeichnen. Die ständige Helligkeit zeigt ihre Auswirkung. Durch das permanent vorhandene Licht beginnt der Körper vermehrt Endorphine auszuschütten und versetzt uns in eine Art Rauschzustand. Wie sturzbetrunken kichern und lachen herum, sodass uns die Tränen aus den Augen rinnen. Die Leute hier scheinen das schon von anderen Touristen zu kennen, denn es scheint sie nicht aufzuregen. Hammerfest erreichen wir an diesem Tag nicht mehr, so stellen wir etwa 30km vorher unser Zelt auf. Der Umstand, dass sich die Tomatensuppe aus dem umfallenden Topf genau in meinen Schuh umfüllt ist nur ein Grund die nächste halbe Stunde weiter brüllend zu lachen. Gegen 12 Uhr erreichen wir am Tag darauf
Hammerfest, die nördlichste Stadt der Welt. In einer kahlen, baumlosen
Bucht liegt die 8000 Einwohner Stadt. Heute scheint irgendein Festtag zu
sein, eine Rockband zaubert bisher ungeahnte Töne aus den E-Gitarren und
die ganze Stadt ist auf den Füssen. Eine kleine Wanderung auf einen nahen
Berg macht die Abgeschiedenheit Hammerfests erst so richtig klar. Kaum
verlässt man die Stadt, ist man mitten im Nichts. Unglaublich, aber
dieses Land steckt voller Kontraste. Hier die moderne Stadt, da die
endlose Weite der subarktischen Tundra. Das Wetter hat sich deutlich
gebessert und vor allem die Temperaturen sind auf ein angenehmes Niveau
gestiegen. Nach weiteren 85km stehen wir vor der Entscheidung, bei der die
Antwort doch eigentlich längst schon fest steht: Nordkap oder nicht? Fast
überall ließt man, keinesfalls ans Kap zu fahren, es sei nur teuer,
touristenüberfüllt und die Enttäuschung vorprogrammiert. Trotzdem
scheint es aber noch niemand geschafft zu haben am Nordkap vorbei zu
fahren. Also warum dann wir? Die rund 100km lange Sackgasse erweist sich
als traumhafte Motorradstrecke. |
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Mit ein paar
Schweizer Motorradfahrern mit Africa Twins und Triumph Tiger düsen wir
durch die wunderbar angelegten Kurven gegen Norden. Nach einer kurzen
Fähre geht es noch mal 30km weiter und plötzlich steht meine Dominator
am nördlichsten, anfahrbaren Punkt Europas. Alles negative, das
angekündigt war gibt es: Touristenbusse, die ihre alten Passagiere in 72
Stunden nonstop von Oslo hier her gekarrt haben, Wohnmobiltouristen, die
sich darüber beschweren, dass es hier keinen Asphaltparkplatz gibt und
sie sich daher so viel Schmutz in ihr "Schneckenhaus" reintragen
usw., doch das berührt mich gar nicht. Ich hatte äußerst geringe
Erwartungen ins Nordkap gesetzt und nun steh ich hier um Mitternacht im
strahlenden Sonnenschein. Ich koste dieses Gefühl einige Stunden lang
aus, bevor wir uns wieder auf unsere Motorräder begeben und in etwa 50km
Entfernung einen Zeltplatz suchen. Seit gestern fährt ein BMW 800er
Fahrer mit uns. Er ist über Finnland herauf gefahren und will durch
Norwegen wieder Richtung Süden. Durch unsere Erzählungen steckt er schon
voller Vorfreude auf Norwegen. Bei wolkenlosem Himmel und strahlendem
Sonnenschein verdrücken wir uns gegen vier in der Früh in unsere
Schlafsäcke. |
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Der Körper
braucht bei dem ständigen Licht wesentlich weniger Schlaf und so sitzen
wir gegen zehn bereits wieder in den Satteln unsere Maschinen. Ab Lakselv
verlassen wir die E6 und fahren über die Strasse Nummer 98 bis ins rund
210km entfernte Tana bru. Die Strasse ist ein schmales, einspuriges
Asphaltband inmitten einer unbeschreiblichen Natur. Auf der gesamten
Strecke kommen uns nicht mehr als eine Hand voll Fahrzeuge entgegen.
Leider versäumen wir es auf die sicherlich auch nicht zu verachtende
Halbinsel "Nordkinn" hinaus zu fahren. In Tana bru beschließen
wir, endlich wieder einmal auf einen Campingplatz zu gehen. Abgesehen von
einer Dusche die mir sicher nicht schadet, ist es auch notwendig etwas
Wäsche zu waschen. Die lange Unterhose scheint so schön langsam an
meiner Haut anzuwachsen und darüber hinaus kommt nach dem Rasieren auch
wieder einmal mein Gesicht zum Vorschein.
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So gepflegt
können wir uns auf unsere letzte Tagesetappe in Norwegen einstimmen. Wir
fahren über die Strasse 98 an der Ostseite der Varanger Halbinsel durch
Vadso hinaus nach Vardo und weiter nach Hamningberg. Unterwegs setzen wir
unsere nicht getrocknete Wäsche aus. Bis wir wenige Stunden später
zurück kommen hat sie der Wind und die Sonne perfekt getrocknet. Vardo
kann man wohl als das Ende Norwegens bezeichnen. Ein schmuckes,
aufgeräumtes, sauberes Dorf auf einer kleinen Insel, mit dem Festland
durch einen Unterwassertunnel, der 88Meter unterhalb der Wasserlinie
verläuft verbunden, ist es Norwegens östlichster Ort. Die Kanonen in der
örtlichen Burg werden jedes Jahr gefeuert, wenn die Sonne wieder das
erste mal über dem Horizont erscheint und hier gibt es auch den einzigen
Baum im Umkreis von vielen hundert Kilometern. Eine Eberesche, die jedes
Jahr im Herbst in Decken eingepackt wird um sie vor dem Erfrieren zu
retten, bildet den ganzen Stolz der Bevölkerung. Am Abend erreichen wir
Kirkenes an der Russischen Grenze und am nächsten Morgen werden wir nach
Finnland weiter fahren. |
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Damit ist mein
Norwegenurlaub vorbei, die angekündigte Ruhe habe ich gefunden und das
Nordvirus hat mich auch ordentlich erwischt, sodass mein Beschluss, bald
wieder nach Norwegen zu kommen schon seit vielen Tagen so fest steht, wie
ein Norwegischer Fels in der Eismeerbrandung.
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Wenige Jahre
später ist es dann endlich wieder soweit. Am Straßenrand steht die Tafel
"Riksgrens Norge" und ich bin wieder in Norwegen. Dieses mal
will ich mir den Süden vornehmen. Wochen später kann ich sagen,
Südnorwegen ist ein Wahnsinn. Immer wieder wenn man glaubt, besser geht
es gar nicht mehr, legt dieses Land noch ein paar Schäuferl nach.
Besonders das Gebiet westlich der Linie Kristiansand - Trondheim ist
bedingungslos zu empfehlen. Norwegen ist jedoch momentan touristisch
gesehen absolut "in", wodurch man auf den größeren Straßen
oder in Massentourismusgebieten wie zum Beispiel dem Geirangerfjord keine
Ruhe finden wird. Besondere Strecken hervor zu heben ist ausgesprochen
schwierig. Am Besten ist es wohl sich die kleinsten Straßen aus den
Landkarten heraus zu suchen, so kann man das Glück haben manchmal ganze
Fjorde für sich alleine zu haben. Manche Gebiete, wie die Hardangervidda,
Jotunheimen und der Jostedalsbreen gehören einfach zum Muss in
Südnorwegen. |
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Kein Jahr später
habe ich das Glück einen Platz an der Universität Trondheim zu bekommen
und so sechs Monate lang wieder "zu Hause in Norwegen" sein zu
können. Auch wenn ein Land, sobald man dort wohnt und arbeitet viel von
dem Zauber verliert, den man gerne sieht, solange man nur dort auf Urlaub
ist, so hat mich Norwegen mehr verändert, als es mir zunächst bewusst
war. Der helle Sommer und der dunkle Winter werden ebenso zur
Selbstverständlichkeit, wie die ausgedehnten Schitouren auf Hütten
begleitet von Wolfsgeheul. Polarlichter lassen in ihrer Dramatik eine
Sonnenfinsternis langweilig erscheinen. Die Ruhe und Freundlichkeit prägt
sich stärker aus uns die Aggression (vor allem im Straßenverkehr) geht
großteils verloren. Bei der Heimkehr nach Tirol erleide ich fast so etwas
wie einen Kulturschock. |
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Zahlen und
Fakten: Fläche: rd. 320.000km² + Spitzbergen 100.000 = 420.000km² (Ö: 84.000km²) Festlandfläche: 300.000km², 70% Ödland, 25% Wald, 3,1% Landwirtschaft Einwohner: 4 Mio Küstenlänge: 28.000km, inkl. Inseln: 50.000km Kristiansand-Kirkenes: 2.842km (Luftlinie rd. 2.000km) Deviseneinnahmen: 75% Öl, 20% Fisch und Holz Nordkap: Mitternachtssonne von 13. Mai - 29. Juli; Polarnacht von 16. November - 25. Jänner Vielen Besuchern fällt es schwer zu glauben, dass Norwegen so unglaublich reich ist, denn der Lebensstandard erscheint auf den ersten Blick eher niedrig. Dies hat hauptsächlich zwei Gründe:
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Wetter:
Norwegens Wetter ist besser als sein Ruf, jedoch sollte man auf alles gefasst sein. Wochenlanger Sonneschein ist ebenso möglich wie wochenlanges Regenwetter. Üblicherweise gibt es jedoch mehr Sonnen- als Regentage. Allerdings ist auf große lokale Unterschiede hinzuweisen. Während Oslo etwa 600mm Niederschlag pro Jahr hat, ist es in Bergen gut das dreifache was vom Himmel kommt. Meiner Erfahrung nach ist die Südwestküste am ehesten schlechtwettergefährdet. Als einfache Faustregel kann man sagen, dass das Wetter in Skandinavien immer das genaue Gegenteil von dem in Mitteleuropa ist. Während im Sommer 2002 große Teile in der Jahrhundertflut unter gingen, erlebte Norwegen den trockenste und heißesten Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen mit Temperaturen bis über 30 Grad. Entsprechend dem "Siebenschläfertag" kann also im Frühling bereits eine wage Prognose bezüglich des Wetters in Norwegen getroffen werden.
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Bericht vom 07.01.2003 | 6.280 Aufrufe