kot auf Nordschleife
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Welcome to hell. |
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Nomen est Nordschleife. |
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Die andere Seite des Motorradfahrens. Die grüne. Die dunkelgrüne. | |
Ich bin schon mittendrin. In seinem Sog. In seinem Schlund. Hier,
zwischen Wäldern und Wiesen, zwischen Zivilisation und Ursprünglichkeit,
zwischen Realität und Wahnsinn, liegt ein Dinosaurier. Versteinert. Er
entstammt einer längst vergangenen Zeit, als es im Motorsport noch keine
Fehleranalyse gab, weil es nach einem Fehler nichts mehr zu analysieren
gab; es war einfach vorbei. Ein Motorsport ohne Alternativen, ohne
Kompromisse, ohne Entweder-Oder, als alle dieselbe Strategie verfolgten:
Überleben. Über viel mehr musste man nicht nachdenken, sehr fokussiert
alles. Die Schleife ist ein Magnetfeld. Eine Rennstrecke als untrennbar mit ihrer Umgebung verbundener Teil der Landschaft, in der Welt verwurzelt. Ein geographisches Objekt. Da vorne führt sie vorbei, hinter ein paar Bäumen, ich könnte schnell hinspazieren, aber ich warte lieber auf morgen. Die Schleife ist ein Magnetfeld, das mich anzieht, doch starke Angst hält mich noch zurück. Im Vergleich dazu wirkt eine moderne Rennstrecke wie ein Hallenbad am Rande der Stadt, in dem man weit weg von der öffentlichen Wahrnehmung seine Bahnen zieht. Rennfahren auf dem Gefängnishof. Hier in der Eifel sind wir frei. Nur noch hier sind wir frei. |
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Mit dem Rekord von Helmut Dähne wurde auch seine Reifemarke zur Nürburgring-Legende. Metzeler kümmerte sich um Reifen, Montage und den richtigen Druck. |
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Die Nordschleife ist anders, als alles, was ich bisher erleben durfte.
Wenn ich nun versuche, intensiv an sie zu denken, schaudere ich
zunächst, dann plötzlich ergreift die Sehnsucht meinen Körper, der
dringend nach jemandem verlangt, jemandem, der es auch erlebt hat,
jemandem, der versteht. Reden hilft. Aber der exklusive Kreis der Erleuchteten ist
klein und in der ganzen Welt verstreut. Viele kommen mit dem Auto, ab 17
Uhr ist die Strecke geöffnet und kann für ca. 25 Euro pro Runde von
jedermann befahren werden. Das inhomogene Teilnehmerfeld reicht vom
arbeitslosen Azubi mit 75 PS Golf in GTI Optik bis zum übermotivierten
Sturmhauben- und Helmträger im GT3 RS Käfig mit Funkverbindung zum
Jenseits, dessen Rennsportkarriere zwar leider nur reine Einbildung ist,
den die harte Realität eines Einschlags in die Mauer der
Breitscheidkurve aber umso härter treffen wird. Viele aus England, viele
aus Holland. Nein danke. Frei Fahren ab 17 Uhr? Nein danke. Wirklich Sinn macht nur ein exklusives Rennstrecken-Event wie jenes des Motorrad action teams. Professionell organisiert, professionell geführt, professionell betreut. Eine Runde Sache, so wie es auch die Linie auf der Nordschleife sein sollte. Sagt Helmut Dähne, offizieller und ewiger Rekordhalter auf zwei Rädern. |
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Dähne sagt viel, was man nicht versteht. |
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Er sagt, man muss oft spät einlenken. Er sagt, man braucht 100
Runden, um sich hier zurechtzufinden, und dann wird's gefährlich. Er
sagt viel, was man nicht versteht, weil er von einem anderen Planeten
stammt. Alleine 1600 Rennrunden ist er auf der Nordschleife gefahren,
nach eigenen Angaben nur dreimal gestürzt, immer recht glimpflich
davongekommen.
Hier ist er ganz normaler Instruktor, der auch mal mit dem
Originalmotorrad seiner legendären Rekordfahrt, einer anbetungswürdigen
Honda RC30, vorfährt. Nicht nur seine Anwesenheit, auch die beinahe
sakrale Atmosphäre und das meditative Zeremoniell am Morgen geben uns
allen das Gefühl, dass hier etwas ganz Besonderes passiert. |
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Wir dürfen einen der wenigen Sonnentage in der Eifel erleben. Es ist herbstlich warm, die Sicht ist gut. Doch schon am Gemetzelfeld (Metzgesfeld) sinkt die Temperatur um 5 Grad. Mir ist kalt. Ich habe es kaum mitbekommen, aber ich stehe schon mitten in der Grünen Hölle. Stehe, neben meiner S 1000 RR, und lausche den Worten des Instruktors. Es wird noch heftiger. Wir drehen mitten auf der Strecke um. Etwas später sehe ich erst, dass der Ring in Sektionen unterteilt wurde. Die roten Pylonen markieren jeweils die Grenze zur nächsten Gruppe. Das Gefühl beim Umdrehen wurde trotzdem nicht besser. Nach einigen Bremstests und der Linienanalyse von Teilstücken fahren wir die erste 20,8 Kilometer Runde zu Ende. |
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Lockerungsübungen in der Mittagspause mit einem C63 AMG. Den Teilnehmern geht es mittlerweile wieder gut. |
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Mosaiksteine im Gehirn. |
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Von Vösendorf nach Donaustadt. Von Klagenfurt nach Velden. Von Innsbruck
nach Kolsass. 33 Links-, 40 Rechtskurven. Keine Runde, eine Reise. So ein Continuum merkt man sich nicht, indem man den hilflosen Versuch
unternimmt, es möglichst schnell in seiner Ganzheit zu begreifen. Man kann nur
Mosaiksteine in seinen überhitzten Gehirnwindungen ablegen, die sich
nach und nach wie von selbst zu einem großen, grausamen Bild
zusammenfügen. Man weiß nur leider nicht, wann das Bild der Hölle
vollständig ist, blinde Flecken bleiben unerkannt. Man knüpft das
Metzgesfeld direkt an die Fuchsröhre, vergisst aber auf den Adenauer
Forst. Nach dem Klostertal sind die Gedanken schon auf der Hohen Acht,
sollten sich aber vorher noch mit dem Karussell beschäftigen. An diesen
unvollständigen Schnittpunkten ist das Risiko am größten, auch wenn ein
Instruktor vorfährt.
Nach dem ersten Tag wechsle ich mit einem Kollegen vom deutschen Fireblade Forum die Gruppe. Aus Touristenfahrten wird die Tourist Trophy. Vom Nürburgring rüber hört man die Superbikes sägen, das sorgt für die passende akustische Untermalung für das, was folgen sollte und mit dem ich nie gerechnet hätte. Zum ersten Mal spüre ich Druck beim Beschleunigen, Zug in den Kurven und Angst beim Bremsen. Es wird flott. Wir sind ca. 6 bis 7 Leute und nicht alle sind optimal ausgestattet, auch eine HP2 Sport und eine K 1200 R sind dabei. Wie naiv von mir, das geschätzte Maximal- Tempo der Gruppe daran festzumachen. |
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Perfekte Strecke, um die neue ZX-10R zu testen. |
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Die Strecke ist nicht wieder zu erkennen. |
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Der Zug nimmt weiter Fahrt auf, ich versuche immer noch, die Linie des Instruktors nachzuziehen, aber der ist schon viel zu weit voraus. Es wird schnell. Der Abstand zu meinem Vordermann wird immer größer, während die asymmetrischen Scheinwerfer der K 1200 R bald meinen ganzen Rückspiegel ausfüllen. Ich muss die Power der S 1000 RR am Schwedenkreuz und Adenauer Forst voll einsetzen, um dran zu bleiben, ansonsten muss ich den Herren hinter mir vorbeiwinken, in den Wald abbiegen und diesen nie wieder verlassen. Die Strecke ist nicht wieder zu erkennen. Kurven verschmelzen, Geschwindigkeiten addieren sich, die Fehlertoleranz nähert sich dem Nullwert. Es wird absurd. Wir sind ein japanisch-deutsch-italienischer Hochgeschwindigkeitszug, an dem ein Wagon droht, jeden Moment zu entgleisen. |
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Und dieser Wagon bin ich. Mein Hintermann sollte später dem Instruktor
flüstern: "Wer ist denn das? Der fährt ja eine grässliche Linie."
Stimmt, sie ist grässlich, sie wurde noch grässlicher, aber ich konnte
mich einfach nicht mit Schwung weit in die Kurven hineinlassen. Je höher
das Tempo, desto stärker kürze ich ab und versuche, die entstandenen
Verluste mit den PS aus dem deutschen Vierzylinder wett zu machen.
Tractioncontrol und Race-ABS sei's gedankt, dass ich nicht abgegangen
bin. Was ich auf der Rennstrecke immer noch für völlig überflüssig
halte, war hier mein unverzichtbarer Rettungsschirm. Es wurde still. |
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Hinter dem Zaun sind die Schwammerlsucher. |
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Zum letzten Mal gebremst, zum letzten Mal die Strecke vor der Start-Ziel-Geraden, die wir leider kaum genutzt haben, verlassen, zum letzten Mal die Mensch-Maschine abgestellt. Es fühlt sich nicht an wie nach einem Tag am Ring, es fühlt sich an wie nach einem Jahr am Ring. 15 Runden gefahren. Man versucht, alle Eindrücke, Gefühle und Gedanken zu ordnen, zu bewerten. Nur eines weiß man jetzt sicher: Dass man ein anderes Universum betreten hat, einen eigenen, abgeschlossenen Kosmos. Neben der Strecke, hinter den Zäunen, ist auf der Nordschleife keine Welt. Dort gibt es keinen Aufwachraum, in dem man sich langsam wieder auf die wackligen Beine stemmt, entkräftet den Staub vom Leder klopft und im Schotter nach seiner Maschine wühlt. Neben der Strecke sind nur die Schwammerlsucher, die mit ein paar abgenagten Parasol im Körberl wie angewurzelt dastehen und davon träumen, auch so hart zu sein, wie wir. Aber sie haben zuviel Angst davor, sich bald die Radieschen von unten anzusehen. Deshalb wenden sie sich ab, ihr Körberl in der Hand und gehen in den dunklen, tiefen Wald zurück. Dort werden sie auch bleiben. | |
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Text: kot |
Bericht vom 30.09.2011 | 5.646 Aufrufe