Shuhei Nakamoto: Das Honda-Jahr im Rückblick
Shuhei Nakamoto: Das Honda-Jahr im Rückblick |
Das Jahr neigt sich dem Ende zu, die ersten Tests für das nächste Jahr sind vorbei und wir befinden uns in der Phase von Dezember bis Januar, in der Tests nicht erlaubt sind. Ich bin mir sicher, Sie wurden das schon oft gefragt, aber beginnen wir damit, wie ihr Gesamteindruck von 2012 war... Danach änderte Bridgestone die Karkasse des Hinterreifens auf weich und wir modifizierten die Maschine, um dabei mitzuziehen. Wir hatten diesen Prozess noch nicht abgeschlossen, als wir die RC213V beim Test nach dem letzten Saisonrennen 2011 in Valencia fahren mussten. Trotzdem erzielte Dani [Pedrosa] die Bestzeit und hatte einen Speed, der seine beste Zeit beim GP übertraf. Dani und Casey waren der Meinung, dass die neue Maschine noch besser war als die 800cc RC212V. Aber gerade als wir dachten, alles sei sicher, wurde das Minimalgewicht um vier Kilogramm geändert. Das war zusätzlich zum Anstieg von 150 auf 153 Kilogramm, als der Hubraum von 800cc auf 1000cc wuchs. Wir hatten unsere Maschine auf die ersten Regeln ausgerichtet und wurden von dieser plötzlichen Regeländerung überrascht. Laut Reglement haben sie das Recht, das zu tun, aber ich glaube nicht, dass es fair ist, so große Änderungen so plötzlich nach dem Ende der Tests zu bringen. Die plötzliche Regeländerung bedeutete, dass ihr für den ersten Test 2012 in Sepang Zusatzgewichte an verschiedenen Teilen der Maschinen anbrachtet, um das neue Minimum von 157 Kilogramm zu erreichen. Auf diese Weise vier Kilogramm zuzulegen, störte die Balance der Maschine und das muss es Casey und Dani doch erschwert haben... Zusätzlich dazu brachte Bridgestone den neuen Vorderreifen mit einer anderen Konstruktion. Wir beschwerten uns, dass der neue Reifen unbrauchbar war, da er nicht genug Steifheit besaß, aber Loris Capirossi von der Dorna bestand darauf, dass er die bessere Wahl wäre, also mussten wir ihn verwenden. Also waren jetzt Vorder- und Hinterreifen anders und die Maschine, die wir ein Jahr perfektioniert hatten, musste neu aufgebaut werden. Nur drei Monate vor dem ersten Rennen der Saison entschieden wir uns, die Maschine neu zu machen. Wir begannen an einem neuen Rahmen und einer neuen Radschwinge zu arbeiten. Seit Bridgestone als alleiniger Reifenlieferant übernommen hat, hing der Erfolg in der MotoGP größtenteils davon ab, wie die Maschine die Leistung der Reifen nutzen kann. Wenn man die Reifenspezifikation in der Mitte der Saison ändert, muss das doch eine radikale Auswirkung darauf haben, wie man die Maschine baut? Für Runde sieben in Holland hatten wir es geschafft, einen neuen Rahmen-Prototypen zusammenzubauen, der auf den neuen Reifen abgestimmt war und Dani mochte die neue Maschine, sobald er sie einsetzte. Beim Test nach Runde neun in Italien probierten wir den neuen Motor in diesem neuen Rahmen aus, womit das praktisch ein Praxistest des 2013er Prototypen war. Dani war am meisten davon beeindruckt und wechselte ab Laguna Seca [Runde 10] auf diese neue Maschine. Casey mochte den neuen Motor ebenfalls, hatte aber nicht das Gefühl, dass der Rahmen viel änderte, also blieb er beim alten Rahmen, in den der neue Motor kam. Wir brachten das Design 2013 in der Mitte der Saison, um durch Änderungen am Motor die Stabilität beim Bremsen zu verbessern und durch das neue Chassis eine bessere Kurvenfahrt zu haben. Wie man sieht, in der heutigen MotoGP ist es ein Schlüsselfaktor, die Maschine passend zu den Reifen zu bauen. Die Maschine passend zu den Reifen bauen. Wenn Sie als Motorrad-Hersteller sprechen, was bedeutet das? Als wir mehrere Reifenlieferanten hatten, war es möglich, Reifen zu bauen, die genau zu jeder Maschine und jedem Fahrer passten, wodurch der Reifen andere Faktoren kompensieren konnte. Dadurch gab es Zeiten, als Satellitenfahrer die Werksfahrer schlugen. Doch das trifft mit dem alleinigen Hersteller nicht mehr zu - wenn die Dinge gut laufen, dann ist das für alle gut; wenn es schlecht läuft, hat jeder die gleichen Probleme. Bei dermaßen gleichwertigen Bedingungen gibt es kaum Überraschungen. Mit einem alleinigen Lieferanten sind die Werksteams immer sehr stark, da sie ihre früheren Erfahrungen anwenden können und dadurch haben die Nicht-Werksfahrer und Nicht-Werksteams nur wenige Chancen auf Siege. In dieser Saison wurde das Podest beispielsweise von drei Fahrern dominiert: Dani, Casey und Jorge [Lorenzo] von Yamaha. Es gab für keinen anderen Fahrer eine echte Chance auf einen Rennsieg. Daher ziehe ich, aus persönlicher Sicht, mehrere Reifenlieferanten vor. Das macht die Rennen einfach aufregender und ich denke, es ist besser für die gesamte GP-Welt. Casey Stoner ist am Ende dieser Saison zurückgetreten. Sagen Sie uns Ihre Meinung dazu und was dachten sie von seiner Leistung in seinem letzten Jahr? Aber dann hatten wir den Sturz in der letzten Runde des achten Rennens in Deutschland und all unsere Pläne flogen aus dem Fenster. Bei dem Rennen musste er nicht einmal gewinnen - eine Zielankunft hinter Dani wäre schon gut genug gewesen. Es war Ungeduld, die zu diesem Sturz und einem punktelosen Ergebnis führte. Das führte wiederum zu seinem Verhalten beim Italien GP direkt darauf - er konnte sich nicht beruhigen und sein Setup richtig einstellen. Dadurch fuhr er ein schwaches Rennen und kam auf Platz acht, was ihn in der WM-Wertung weit zurückwarf. Wäre er in Deutschland nur ordentlich ins Ziel gekommen, dann hätte er die folgenden Rennen wohl so ruhig wie möglich in Angriff genommen und hätte damit vielleicht die Verletzung am elften Rennwochenende in Indianapolis vermieden. Auch als es um die Wahl seiner Maschine ging, verhielt er sich anders. Dani lobte das neue Chassis, aber Casey meinte, es sei nicht viel anders und blieb beim alten. Es war ja nicht nur Dani - Stefan [Bradl] mochte das neue Chassis und verwendete es beim letzten GP in Valencia und als Alvaro [Bautista] es beim Test nach der Saison probierte, meinte er ebenfalls, es sei ausgezeichnet. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, war es vielleicht ein Fehler, Casey nach dem Italien GP dazu zu drängen, die neue Maschine zu testen. Ich hätte wohl etwas länger warten sollen, bis er sich wieder gefangen hat. Hätte ich gewartet, hätte er die Dinge klarer gesehen und hätte die Qualität der neuen Maschine zu schätzen gewusst. Ich bin mir sicher, Sie müssen enttäuscht gewesen sein, dass sie Casey nicht dazu überreden konnten, in der MotoGP zu bleiben... Am Montag nach dem Valencia GP richteten wir eine Abschiedsparty für ihn aus. Als die Party vorbei war, blieben wir zwei noch und unterhielten uns. Dabei konnte ich meine Tränen nicht zurückhalten. Ich war so traurig, weil er die MotoGP verlässt. Am nächsten Tag fragten mich einige von Caseys Freunden, was ich ihm an dem Abend gesagt hatte. Als ich sie fragte, warum sie das wissen wollen, meinten sie, dass Casey, der bis dahin nie an seiner Entscheidung zum Rücktritt gezweifelt hatte, gesagt hatte: 'Vielleicht sollte ich doch weiterfahren...' Vom ersten Tag, an dem Casey bei Repsol Honda war, konnte er sich an so ziemlich jedem Tag etwas Neues ausdenken, das uns verblüfft hat. Ich kenne keinen anderen Fahrer, mit dem die Arbeit so viel Spaß macht. Ich hoffe, er erholt sich schnell von seiner Verletzung und sollte er sich je entscheiden, zurückzukommen, dann wird er herzlich willkommen sein. Ich habe ihm gesagt, dieses Angebot steht immer. Stimmt es, dass Casey selbst Marc Marquez als seinen Nachfolger vorgeschlagen hat? Mitte der Saison 2011 habe ich Marc gesagt: 'Wenn du nächstes Jahr in die MotoGP kommst, steht eine Werksmaschine für dich bereit.' Er wollte aber erst die Moto2-Weltmeisterschaft holen und ich sagte ihm, dass er das tun soll. Die Entscheidung, Marc eine Maschine anzubieten, hatte nichts mit einem Sponsor zu tun - ich selbst habe entschieden, dass wir Marc auf einer Honda brauchen und ich freue mich sehr darauf, zu sehen, was er leisten kann. Als wir ihm die RC213V in Valencia erstmals übergaben, stieg er sofort auf und sagte uns, er habe bereits verstanden, wie er die Karbonbremsen verwenden muss. In Malaysia öffnete er das Gas bei Seitenlage genau richtig. Er ist ein sehr intelligenter Fahrer, der immer daran denkt, wie er seine Maschine schneller macht und er hat etwas an sich, das ihm sicher viele Fans bringen wird. Ich sehe ihn nächstes Jahr im Kampf gegen Dani und Jorge, auch wenn es nicht einfach werden wird, den Beiden einen Sieg abzujagen. Nichtsdestotrotz gehe ich davon aus, dass wir zur Saisonmitte einen Sieg von Marc sehen könnten. Dani Pedrosa beendete die Saison mit sieben Siegen, mehr als jeder andere Fahrer. Glauben Sie, in der nächsten Saison gewinnt er den Fahrertitel? Er zeigte auch beim letzten Rennen in Valencia eine tolle Leistung. Die Bedingungen waren dort so schlecht, dass der einzig trockene Teil der Strecke die Rennlinie war. Er überraschte jeden mit den Geschwindigkeiten, die er dort gehen konnte - manchmal sah es wirklich so aus, als würden die anderen Fahrer einfach stillstehen. Unsere neue Maschine hat das Bremsen und die Kurvenfahrt verbessert und dass er so eine gute Maschine bekam, schien Dani mit neuem Selbstvertrauen zu füllen. Für mich scheint Dani einen zusätzlichen Sinn zu haben, der anderen fehlt - er bemerkt die kleinsten Dinge, Dinge, die andere nie spüren. Ihm fallen kleinste Veränderungen schnell auf, beispielsweise wenn die Streckenoberfläche Grip verliert. Der Nachteil davon ist, dass er manchmal übervorsichtig fährt, doch dieses Jahr besiegte er dieses Verhalten und bekam es genau richtig hin. Er hat seinen großen Gegner im direkten Zweikampf geschlagen, fuhr im Regen von Malaysia zum Sieg und konnte seinen Speed auch im Nassen hoch halten, was früher immer sein Schwachpunkt war. Es gibt keine Frage - Dani ist eine Stufe höher gestiegen und ist nun ein sehr starker Gegner. Ich bin zuversichtlich, dass er nächstes Jahr den Titel holt; ich kann mir nicht vorstellen, ihn nicht auf diesem Podest zu sehen. 2013 wird Stefan Bradls zweite Saison in der MotoGP und es wird Alvaro Bautistas zweite Saison bei Honda. Wie sind Ihre Eindrücke von diesen beiden Fahrern? Nächstes Jahr kommt mit Marcquez sein alter Rivale aus der Moto2 in die MotoGP und ich denke, das wird Stefan dabei helfen, seine Fähigkeiten zu entwickeln. Alvaros Ergebnisse waren andererseits eine kleine Enttäuschung, um ehrlich zu sein. Wenn wir seine Zeit bei Suzuki mit einrechnen, dann hat er viel mehr Erfahrung in der MotoGP als Stefan, also dachte ich, wir würden bessere Ergebnisse sehen. Er war dieses Jahr zwei Mal auf dem Podest, aber ich will ihn dort nächstes Jahr viel öfter sehen. Er muss seine Angewohnheit ablegen, so zu fahren, als wäre er noch in der 250er. Von all unseren Honda-Fahrern ist Alvaro derjenige, der nächstes Jahr am meisten geben muss. Danke für das Gespräch. Könnten Sie uns am Ende noch ihre Gedanken zu 2012 zusammenfassen und Ihre Ziele für nächste Saison verraten? Die Ziele für nächstes Jahr? Natürlich möchte ich die Triple Crown. Aber im Rennsport ist nichts sicher, man weiß nie, was passiert. Wenn man verliert, muss man einfach noch härter versuchen, zu gewinnen. Alles, was wir tun können, ist unser Bestes zu geben, um eine Siegmaschine zu bauen. Die Tests für nächstes Jahr beginnen im Februar in Malaysia und wir können es uns nicht erlauben, davor eine Auszeit zu nehmen. Unser Ziel für nächstes Jahr sind alle drei Titel und damit wollen wir die Enttäuschung vergessen machen, dass wir dieses Jahr nicht das Triple geholt haben. Wir werden nächstes Jahr wieder das Beste geben, um den Erwartungen unserer Fans gerecht zu werden und ich möchte sagen, wie dankbar ich für die Unterstützung in dieser Saison bin. |
©adrivo Sportpresse GmbH |
Weitere MotoGP-News |
Foto: ©Honda |
Bericht vom 28.12.2012 | 2.319 Aufrufe