Harald Bartol: Schimpansen und die Frührente

Bei KTM ist im Rennteam immer viel zu tun. Harald Bartol spricht über Herausforderungen, Fahrer und die von ihm nicht gemochte Traktionskontrolle.

Harald Bartol: Schimpansen und die Frührente

Mika Kallio führt die 250er-Weltmeisterschaft an. Wie viel Anteil an der Leistung gebührt dem Fahrer und wie viel dem Motorrad?
Harald Bartol: Er verdient viel Anerkennung für seine Leistung, ganz ohne Zweifel. Ich habe aber nie versucht, irgendwelche Prozentwerte aufzustellen und das werde ich auch nie machen. Das Wichtige für mich ist, dass wir von Saisonstart weg gut waren und es keine großen Schwächen gab. Und ich glaube, dass wir uns Schritt für Schritt werden verbessern können - von jetzt bis zum Saisonende. Wir sollten aber auch nicht vergessen, dass zur Abwechslung in diesem Jahr auch einmal das Glück auf Mikas Seite war. Wir werden die Tatsache nicht verschweigen, dass einige unserer Gegner Fehler gemacht haben und wir davon profitiert haben. Wir wissen auch, dass wir uns verbessern müssen, denn die anderen werden uns nicht immer in die Hände spielen. Der Catalunya GP hat gezeigt, wie schnell sich die Dinge drehen können.

Erfolgreiche Menschen schaffen ihr eigenes Glück, heißt es. Ist Mika der beste und stärkste ihrer Fahrer?
Harald Bartol: Das ist er sicher. Mika weiß, wie er es verhindert, sich zu sehr in technische Probleme zu verrennen. Stattdessen kann er sich auf sich selbst konzentrieren und deswegen kann er auch einige technische Defizite kompensieren. Er verschwendet seine mentale Energie nicht einfach. Er kann die Situation analysieren und sich selbst sagen: 'Die Dinge sind, wie sie sind und ich habe nichts Anderes zu meiner Verfügung; ich werde das Beste daraus machen.' Andere suchen immer weiter und zermartern sich die Hirne wegen weiterer Verbesserungen. Manchmal erreichen sie dadurch genau das Gegenteil.

Gibt es auch etwas in Mikas coolem, finnischen Charakter, das ihm einen Vorteil über seine südeuropäischen Gegner verschafft?
Harald Bartol: Vielleicht. Aber Mika ist nicht nur cool, er hat auch einen tollen Sinn für Humor. Das Beeindruckendste an ihm ist aber sein Vertrauen. Er scheint volles Vertrauen in uns zu haben und darin, was wir für ihn erarbeiten. Unser Technischer Manager Mario Galeotti hat einmal gesagt: 'Man kann zwei Zehntelsekunden im Setup einer Maschine finden, aber nicht immer zwei volle Sekunden im Kopf eines Fahrers.' Und Mika kann diese zwei Sekunden in den unwahrscheinlichsten Situationen finden - in Valencia, am Ende der vorigen Saison beispielsweise. Mika war auf Pole Position und direkt vor dem Start sagte er: 'Die Schnellschaltung funktioniert nicht.' Ich antwortete: 'Wir können nichts tun, um das jetzt zu beheben. Versuche, 200 Umdrehungen früher zu schalten und das System wird funktionieren." Er sagte: 'OK, wird klappen.' Und er fuhr los und gewann das Rennen. Ein anderer Fahrer hätte nicht diese mentale Stärke gehabt und hätte das Rennen als verloren abgeschrieben.

Ein anderes Beispiel war der Italien Grand Prix in diesem Jahr, als Mikas Kupplung in der ersten Kurve kaputt ging. Ein anderer Fahrer hätte seine Hand gehoben und wäre gestoppt. Aber Mika passte sich an das Problem an und fuhr ohne eine vernünftige Kupplung. Es ist nicht leicht, unter solchen Umständen zu Platz vier zu fahren. Gleichzeitig sollte aber niemand Mikas technisches Verständnis unterschätzen. Er hat ein fundierteres Wissen als ein anderer unserer Fahrer. Er tüftelt mit seinen eigenen Maschinen zuhause sicherlich genug herum. Er bereitet sogar seine eigenen Zylinder für die Eisrennen vor. Ich weiß das, weil ich ihm helfe, bestimmte Teile zu besorgen. Mika weiß definitiv, was ein Motorrad zum Laufen bringt, aber wenn er bei den GPs ist und seinen Job macht, dann kann er sich auf den wichtigsten Teil des Puzzles konzentrieren - sich selbst.

Wird er seine kleine Führung in der WM verteidigen können?
Harald Bartol: Ich sehe keinen Grund, warum er nicht vorne oder nahe an der Spitze bleiben sollte und weiter in der Jagd um den Titel sein sollte. Dafür arbeite ich.

Kommen wir zu den zwei Zehntelsekunden zurück, die sich in einem Motorrad finden lassen: hat das neue Chassis, das für diese Saison gebracht wurde, die Probleme gelöst?
Harald Bartol: Es gibt noch Raum für Verbesserungen. Wir arbeiten weiter hart an diesem Bereich und wir haben nach dem Catalunya Grand Prix ein paar neue Chassis-Teile getestet. Wir werden beim kommenden Rennen in England wissen, ob wir in die richtige Richtung gehen.

Was ist mit dem Motor? Bislang hatte Aprilia auf den meisten Strecken einen kleinen Vorteil beim Top Speed.
Harald Bartol: Das stimmt, wenn man die Trainingsleistungen mit einbezieht. Erstaunlicherweise waren die Dinge in einigen Rennen dann aber anders. Unser Konkurrenten konnten uns auf der langen Gegengeraden in China nicht überholen und sie waren in Mugello auch nicht viel schneller. Unser größtes Handicap ist keine Sache von ein oder zwei PS; es ist die Tatsache, dass wir an den meisten Strecken nicht auf eine Masse an Daten zurückgreifen können. Aprilia hat riesige Ressourcen zur Verfügung. Wir müssen aus den beiden Trainingstagen das Maximum herausholen, damit wir eine passende Abstimmung für Sonntag finden.

Ist es ein Worst-Case-Szenario für KTM wenn ein Rennwochenende so ist wie in Italien, wo die Strecke eineinhalb Tage nass war und dann zum Rennen hin austrocknete?
Harald Bartol: Ja, sicher.

Sind Sie mit den Leistungen von Julian Simon und Hiroshi Aoyama zufrieden?
Harald Bartol: Was Julian betrifft, so müssen wir bei ihm akzeptieren, dass ihm immer acht km/h Top Speed fehlen, egal ob er einen Mähdrescher oder ein Motorrad fährt. Wir haben einmal Windkanal-Tests mit ihm und Kallio auf derselben Maschine gemacht und die Ergebnisse haben das bestätigt. Einmal haben wir in Albacete sogar die Maschinen getauscht und ließen Simon ein paar Runden auf Kallios Maschine fahren. Er war überrascht, dass sein eigenes Motorrad sogar besser lief als Kallios, obwohl er beim Top Speed hinten war. Die Tatsache, dass Simon nicht gleiche Ergebnisse hatte, liegt sicher nicht an seiner Maschine. Wenn man seine Computerdaten ansieht, dann erkennt man leicht, dass er nicht sehr konstant ist. Er scheint in einem Moment alles richtig hinzubekommen, im nächsten verdirbt er es sich wieder. Er muss entspannen und seine Fahr-Konstanz verbessern. Wenn er das macht, wird der Erfolg kommen. Das Talent ist sicher da.

Aoyama hat sich bei mehreren Gelegenheiten als großes Talent erwiesen. Aber ich denke, er sorgt sich zu viel über kleine, nebensächliche Dinge. Er versucht, sich mit allem zu beschäftigen, bis zum letzten Klick am Aufhängungs-Setup. Stattdessen sollte er seine Gedanken auf die Aufgabe vor sich richten.

Hängt die Teamstruktur für das nächste Jahr davon ab, ob Kallio den Titel gewinnt?
Harald Bartol: Wir haben hinter den Kulissen immer vorbereitende Gespräche, aber viel wird von Mika abhängen und davon, wie sich die Weltmeisterschafts-Entscheidung entwickelt. Es ist viel zu früh für offizielle Statements.

Gibt es die Möglichkeit, dass KTM sein GP-Engagement ausweitet?
Harald Bartol: Wenn das passiert, dann gehe ich in Frühpension. Es ist einfach unmöglich, noch mehr KTM-Maschinen ins Feld zu bringen. Wir sind dieses Jahr ins kalte Wasser gesprungen und bezahlen auf gewisse Weise immer noch dafür, vor allem wenn man sich die 125er-Klasse ansieht. Wir müssen uns konsolidieren anstatt zu expandieren.

Es gibt viel Arbeit in der 250er-WM. Wie schaffen Sie es da noch, bei der 125er-Entwicklung voranzukommen?
Harald Bartol: Das ist nicht leicht. Wir haben nicht mehr Leute, also müssen wir härter arbeiten. Zum Beispiel machte Mario Galeotti zuhause in Italien trotz Krankheit das neue Chassis für die 125er. Das war der einzige Weg für uns, um weiterzukommen und wir wissen noch immer nicht genau, wo das Problem liegt. Ich kann nicht verstehen, warum Randy Krummenacher im vorigen Jahr in Barcelona zu einem Rundenrekord gefahren ist und jetzt unter mangelndem Grip und einigen anderen Problemen auf genau der gleichen Maschine gelitten hat. Er war in diesem Jahr in einigen Kurven neun km/h langsamer und wir müssen herausfinden warum. Was die Satelliten-Teams betrifft, so gibt es dort viele Probleme, die man verhindern hätte können. Ich zeige auf niemanden; ich sage nur, dass wir unsere Maschinen generell in Zukunft idiotensicherer machen. Wir müssen so eine gute Basis erarbeiten, dass es für andere Spezialisten keine Versuchung gibt, ihr Glück zu probieren und in Problemen zu enden.

Wann werden die 125er-Teams das neue Chassis haben, das Esteve Rabat in Frankreich erstmals getestet hat?
Harald Bartol: All unsere Fahrer werden ein neues Chassis für das Rennen in England haben. Rabat bekam seines als Erster, weil er derjenige war, der sich am meisten beschwert hat. Jetzt haben sich die anderen auch zu beschweren begonnen, weil sie sahen, dass das neue Chassis Vorteile hat. So laufen die Dinge.

Planen Sie in der nahen Zukunft Entwicklungsschritte für die 125er?
Harald Bartol: Wir sollten Arbeit am Motor machen, aber im Moment gibt es nicht viel Zeit dafür. Unser erstes Ziel ist es, in der 250er-Klasse dran zu bleiben. Der Rennkalender ist so eng gepackt, dass wir verzweifelt gesucht haben, um Zeit für Vergleichstest und andere wichtige Angelegenheiten zu finden.

Werden sie in der 250er-Klasse eine Traktionskontrolle bringen, wie Hauptkonkurrent Aprilia?
Harald Bartol: Bislang gibt es noch eine entscheidende Frage, die nicht beantwortet wurde: fahren die Piloten mit Traktionskontrolle schneller? Wir haben ein elektronisches Traktionskontroll-System im Ärmel, aber ich bin nicht sehr versessen darauf, es zu bringen. Ich hatte es schon 1991 mit Joan Garriga in der 500er-Klasse und ja, der Fahrer mochte es. Er mochte die Geschmeidigkeit des Motors, aber es gab auf der Stoppuhr keinen großen Vorteil. Tatsächlich war da gar kein Vorteil. Der Nachteil dieser Systeme ist, dass die Fahrer dazu neigen, es zu locker zu nehmen. Das ist das gleiche mit einem Druckventil am Auspuff. Wenn der Fahrer einen giftigen Motor hat, weiß er, dass er die Kurve genau mit den richtigen Umdrehungen treffen muss und das Gas genau zur richtigen Zeit öffnen muss - sonst verliert er am Kurvenausgang. Mit dem Druckventil kann man die gleiche Kurve plötzlich mit niedrigeren Umdrehungen fahren und der Motor zieht immer noch durch - alles weich und nett. Aber dann sieht man sich die Stoppuhr an und es gibt keine Verbesserung.

Ich weigere mich, eine Traktionskontrolle zu verwenden, bis es einen Beweis gibt, dass sie die 250er-Fahrer auf der Stoppuhr schneller macht. Ich mag sie einfach nicht. Persönlich würde ich diese Systeme aus dem Rennsport verbannen. Das ist ein weiterer Schritt in der elektronischen Entwicklung und ich denke nicht, dass er positiv ist. Wenn die Traktionskontrolle kommt, dann kann man auch einen Schimpansen aus dem Zoo in der Nachbarschaft holen, der die Maschine fährt.

©adrivo Sportpresse GmbH
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Foto: ©Kirn F.

Bericht vom 18.06.2008 | 6.175 Aufrufe

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